Dienstag, 7. Februar 2012

Ingold Airlines und die Strategie des Fake - eine wissenschaftliche Auseinandersetzung



Auf dem Dach des Hauses, in dem sich das Künstlerprojekt Büro Berlin befand, stellte Res Ingold, Gründer und Leiter der Fluggesellschaft Ingold Airlines, im Jahr 1982 Landungslichter für Hubschrauber auf. Die »Helioport« genannte Installation erregte das Mißtrauen der Sicherheitsbehörden, die sich wegen des Staatsbesuchs des amerikanischen Präsidenten Reagan in Alarmbereitschaft befanden. »Helioport« wurde als Sicherheitsrisiko eingestuft und abmontiert.

Das Vor-Bild für Ingold Airlines sind konventionelle Fluggesellschaften, die das Ziel verfolgen, ein profitables Transportangebot anzubieten. Ingold Airlines formuliert dementgegen das korporative Modell einer Fluggesellschaft, nennt sich selbst allerdings »Luftverkehrsgesellschaft«. Ingold Airlines existiert nur auf der ästhetischen Ebene. Das Logo der fiktiven Fluggesellschaft bestand zunächst aus dem Schriftzug »Ingold Airlines« und einem stilisierten Heckleitwerk, in das ein »i« eingeschrieben war. Nach einem Relaunch, dem gegenwärtig beliebten Versuch, traditionelle Unternehmen dem Neuigkeitsversprechen des Jahrhundertwechsels anzupassen, besteht das Logo nur noch aus einem »i«, das wie ein Icon auf der Computerbenutzeroberfläche aussieht.

Ingold Airlines tritt mit unterschiedlichen Funktionen auf: Das Werbematerial von Kunstausstellungen zeigt ihr Logo in der Funktion eines Sponsors, oder sie tritt als Veranstalter von Ausstellungen auf, je nach den Möglichkeiten, die die Öffentlichkeitsstrategie einer Institution bietet2, während sie im Kontext von Flugmessen ein Kunstprojekt darstellt. [...]


Insofern entspricht der künstlerischen Taktik von Ingold Airlines die Täuschung, wie eine echte Fluggesellschaft zu erscheinen, sich jedoch einer konventionellen Produktion und Dienstleistung zu verweigern.


Die vor allem von amerikanischen Neo-Konzept- oder Neo-Objekt-KünstlerInnen in den 80er Jahren betriebene Strategie, den eigenen Künstlernamen als Label für ein Team von ProduktionsassistentInnen zu benutzen, verkehrte die von konzeptuellen Kunstpraktiken beabsichtigte Autorlosigkeit und Delegierung des künstlerischen Produktionsprozesses in ein gezielt effektives Partizipieren am Kunstmarkt, das vor allem die gestiegene Nachfrage nach Kunstobjekten für die korporativen Sammlungen befriedigte.

Die Kunstpraxis von Ingold Airlines agiert dagegen reduktionistisch im System der Repräsentation, in dem Darstellung, Darstellungsrahmen, Funktion, Erwartungshaltung und Interpretation mit ausdifferenziertem Medieneinsatz aufeinander abgestimmt werden: Das künstlerische Produkt ist die auf das Logo reduzierte reine Erscheinung, ein Markenimage. Das Kunstobjekt wird durch ein Symbolsystem ersetzt, das die gesellschaftliche Funktion über die werterzeugenden Austauschprozesse oder das Kommunikationsverhältnis zwischen dem künstlerischen Feld und dem ökonomischen Bereich bezeichnet. Auf diese Weise wird zwar die gegenwärtige Grenzverwischung zwischen Design, Werbung, PR und Kunst affirmiert2, die sich selbst als Konsumentenbegehren geriert; Ingold Airlines bleibt jedoch ambivalent gegenüber ihrer Funktion innerhalb dieses Systems. Das Kunstprojekt Ingold Airlines kann als Affirmation konventioneller PR-Praktiken betrachtet werden, doch würde eine Fixierung darauf und eine angenommene metaphorische Relation zwischen Wirtschaft und Kunst eine Reduktion des Konzepts und seines Anspruchs bedeuten. Das Konzept der Fluggesellschaft kann sowohl als Phantasma des Künstlers – zu fliegen oder Flugzeuge zu besitzen – erscheinen, als auch die konzeptkünstlerische Untersuchung der medialen, ökonomischen, erkenntnistheoretischen und ideologischen Bedingungen von Kunst repräsentieren. Der konzeptkünstlerische Medieneinsatz von Ingold Airlines umfaßt das Spektrum der Logogestaltung, den PR-Text, die Rauminstallation und den mündlichen Vortrag, zu dem unter Umständen auch Videofilme vorgeführt werden. Dieser Konzeption folgend, heißt die Zusammenfassung und Auflistung der Aktivitäten von Res Ingold nicht »Katalog« sondern »Geschäftsbericht«. Auch dies verharrt zwischen konzeptueller Geste und ironischem Kommentar auf die Geschäftsberichte großer Banken (z.B. Deutsche Bank, Sparkasse), die mittels der Abbildung von erworbener Kunst ihren kulturellen Status zu manifestieren suchen. [...]


Besonders deutlich wurde der Bezug zwischen Ökonomie und Kunstprojekt, in der als Vernissage veranstalteten Aktionärsgründerversammlung: »Ingold Airlines goes public«.1 Während in Reden die Geschäftsbedingungen geklärt wurden, konnten die präsentierten Dokumente der bisherigen Aktivitäten der Fluggesellschaft unter die Lupe genommen werden: Fotografien der eigenen Maschinen und der angeflogenen Flughäfen. Die Fotografien zeigten zum Teil retuschierte Aufnahmen und echte Flugzeuge, die das Logo I.A. tragen. Selbst die Zitate bekannter Kunstvermittler unter den Fotos fungierten, jenseits der Frage nach ihrer Echtheit, als einleuchtende, aber ironische Verbindung zwischen Kunst-Jetset und Fluglinie, zumal einzelne der abgebildeten und zitierten Personen schon früher für Fluggesellschaften geworben hatten wie bespielsweise der Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Jean-Christophe Ammann, für Swiss Air. Die als Aktien ohne künstlerische Gestaltung präsentierten Drucke zeigen im Ingold-Airlines-Layout nur den Kaufwert an. Da die Präsentation in der Institution des Kunstvereins stattfand, reichte dies als Bestätigung aus, daß diese Drucke den bezifferten Wert erhalten. Mit dieser einfachen Konzeption thematisierte Ingold Airlines den institutionellen Wertschöpfungsprozeß in der Kunst aus. [...]


Quelle: Römer, Stefan (1998): Der Begriff des Fake


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